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Jin und die Wölfe

Jin wanderte singend durchs Land, mit fröhlichem Herz.

Eines Nachts kam Jin durch einen dichten Wald, in dem es so dunkel war, dass man die eigene Hand nicht mehr vor den Augen sah. Wie Jin nun guten Mutes dahinschlenderte, in Gedanken einen Tanz vor sich her pfeifend und von Anfang bis Ende mitwalzend. Aber weil es so dunkel war, kam Jin vom richtigen Weg ab und fiel in eine tiefe Grube. Jin dachte schon, das letzte Brot wäre gebacken und fing an, kläglich zu schreien und um Hilfe zu rufen. Plötzlich liessen sich, nicht weit entfernt, Stimmen vernehmen. In der Grube nämlich, die sich seitwärts noch tief in die Erde hineinzog, wohnte eine Wolfsfamilie, Azar und Kana, mit zwei jungen Wölfen. Als Azar das Stöhnen und Klagen von Jin hörte, rief er vergnügt: «Kana, häng den Kessel über das Feuer! Ich glaube, es wird diese Nacht noch ein Feiertagsbraten geben!» Diese Worte hatte auch Jin vernommen und ist in Todesangst verstummt. Azar öffnete die Türe und leuchtete so lange in der Grube umher, bis Jin entdeckt war. Azar packte Jin an den Beinen und – oh je! – zog Jin in die Stube.

Als Azar nun das Messer zog, schrie Jin und wehklagte so herzzerbrechend, dass Kana, für Jins Leben bat. «Schön», sagte Azar, «so soll das Menschlein am Leben bleiben! Aber zu den Menschen darfst du nicht mehr gehen, denn sonst könntest du uns verraten. Du musst hierbleiben und ein Wolf werden.»

 

«Mit tausend Freuden», rief Jin erleichtert aus, «Mensch hin, Mensch her, ich will lieber als Wolf lebendig sein, denn als Mensch gekocht und aufgegessen werden!» Da holte Azar aus dem Schranke einen abgelegten Pelz und Kana nähte Jin darin ein. So blieb nun Jin bei den Wölfen und lernte vortrefflich zu heulen und auf allen vieren zu laufen; im Kaninchenfangen aber wurde Jin Meister, denn das fällt den Wölfen gar schwer, weil sie zu plump und tölpisch dazu sind.

Als sie eines Tages zusammen auf Beute ausgingen, jagte gerade die Schlossjägerei in dem Walde. Sobald die Wölfe der Jägerei ansichtig wurden, gaben sie eilig Fersengeld und Jin getreulich mit ihnen; denn Jin hatte Angst, mit einem Wolf verwechselt zu werden und deshalb gleich totgeschossen zu werden. Sie rannten alle in das dichteste Unterholz und versteckten sich, so gut sie nur konnten. Azar war hinter ihnen zurückgeblieben und rief, sie sollten ruhig warten. «Ich habe noch keine Hunde gesehen und ohne diese wird uns so schnell niemand finden.» Nach einiger Zeit hörten sie die ganze Jagdgesellschaft dicht vor ihrem Versteck vorbeireiten. Zuvorderst in der Jägerei nieste es, da vergass Jin die Wolfsnatur und rief aus den Büschen: «Zur Gesundheit!» Die Jagdgesellschaft hörte dies und ritt in das Gehölz hinein, um zu sehen, wer da gerufen hätte. Man entdeckte die Wölfe und tötete alle, nur Azar konnte entkommen. Jin entdeckte man zuletzt, zuhinterst im Gehölz. Doch ehe man zielen konnte, wälzte sich Jin schon vor die Jägerei und jammerte erbärmlich. Die Jagdgesellschaft stieg von den Pferden herunter, sah sich Jin von hinten und vorne an und konnten nicht begreifen, was das für ein seltsames Tier wäre, denn in der Schule hatte noch niemand von dieser Art gehört. Dennoch sah Jin einem Wolf nicht unähnlich.

Jin richtete sich zitternd auf und bat um Gnade: «Verzeiht, ich bin eigentlich nur ein singender, umherziehender Mensch und bin aus Versehen unter die Wölfe geraten!» Da fing alles an zu lachen. Jin wurde aus dem Fell geschnitten und auf ein Pferd gesetzt, dann ritten sie gemeinsam zum Schloss, während Jin die ganze Geschichte erzählte. «Jin, du hast uns heute einen grossen Spass gemacht», stimmte die Jagdgesellschaft ein, «wenn du willst, kannst du bei uns bleiben.» Das gefiel Jin so sehr und ritt so mit auf das Schloss. Dort lebte es sich herrlich und in Freuden und Jin unterhielt die Schlossgesellschaft mit fröhlichen Liedern.

Azar aber, glücklich mit dem Leben davon gekommen, hatte seither eine schreckliche Wut gegen alle Menschen gefasst und beschloss, sich furchtbar zu rächen. Kam ein Mensch Azar vor die Augen, so war der des Todes. Darüber war das ganze Land voll Jammer und Wehklagen. Es verging kein Tag, an dem nicht wenigstens einer in den Klauen des Wolfes ein jämmerliches Ende fand. Azar aber dachte sich nur: «Das sind bei weitem noch nicht genug. Alle müssen sie sterben und Jin muss es am schlimmsten ergehen, denn Jin hat meiner Familie den Tod gebracht.

Eines Tages lief der Wolf am Schloss vorbei und da sah er Jin gerade am Fenster sitzen und ein Liedchen pfeifen. «Jin», rief Azar hinauf, «du musst sterben! Eher will ich nicht ruhen!» Da wurde es Jin angst und bange und ging gleich zu den anderen und erzählte ihnen, was Azar gedroht hatte. Da antworteten diese: «Warte, Jin, jetzt ist es allerhöchste Zeit, dass wir das Untier fangen, wenn es schon keinen Respekt hat vor dir. Wir können nicht zusehen, wie es alle unsere Untertanen frisst, denn wenn wir keine mehr haben, müssen wir das Schloss aufgeben. Aber lebendig müssen wir die Bestie fangen! Und sie darf keines natürlichen Todes sterben. Wir woSo liessen sie im ganzen Land ausrufen: «Wer den Wolf bringt, soll überreich beschenkt werden.» Aber es blieb trotzdem alles wie es war, denn niemand wagte sich Azar zu nähern. Auch Jin hatte lange Zeit nicht den Mut, das Schloss zu verlassen. Endlich ging Jin aber doch an einem schönen, sonnigen Tag in den Schlossgarten. Da auf einmal sprang hinter einem Baume Azar hervor und erwischte Jin am Rockschoss. Der Wolf zerrte Jin erbarmungslos mit sich, während Jin schrie und zappelte, immer weiter und weiter, bis tief in den Wald hinein. Plötzlich blieb Azar stehen, drehte sich um und schaute Jin an. Jin zitterte wie Espenlaub und trocknete sich den Angstschweiss von der Stirne. «Du erbärmlicher Mensch», schrie der Wolf, «du hast mich ins Unglück gebracht und dafür sollst du nun sterben!» Jin klapperte mit den Zähnen. «Hast du noch etwas zu sagen, so sprich», sagte Azar, «aber mache es kurz!» Jin dachte bei sich: «Ich will mit Azar verhandeln» und sagte, «Ach, Azar, wenn du mich laufen liessest, so wollte ich im Schloss sagen, sie sollen dir alle Tage so viele Schafe zu fressen geben, wie du Lust hast.» Aber der Wolf wies Jin nur die Zähne und sagte: «Nein, diesmal gibt es keine Gnade! Du musst sterben!»

 

Da kam Jin mit einem Male ein pfiffiger Einfall: «Sieh, dort kommt die Jägerei!» Und als der Wolf sich in seinem Schrecken umsah, da sprang ihm Jin schnell auf den Rücken und hielt ihm die Augen zu. Da aber lief der Wolf, wie noch nie ein Wolf gelaufen war und dachte sich: «So muss der verwünschte Mensch doch endlich herunterfallen.» Doch der sass ganz fest, stiess dem Wolf noch obendrein die Stiefelhaken in die Seiten, als wenn es Sporen daran hätte und schrie: «Hotto, hühü, mein Pferdchen!» Und weil der Wolf nicht sehen konnte, wohin er lief, so lenkte ihn Jin geradewegs auf das Schloss zu, bis vor die offene Stalltüre. Dort stellte sich Jin auf die Beine und liess Azar zwischendurch schiessen, mitten in den Stall hinein. Dann riegelte Jin die Türe zu und sagte: «Warte, Azar, jetzt will ich dir einen Strick kaufen!»

Nun ging er zur Schlossgesellschaft und meldete, dass der Wolf gefangen war. Das Schloss war hocherfreut, dass Jin so pfiffig war und bei einer grossen Feier wurde Jin mit übergrossem Reichtum belohnt.

 

 

Azar aber wurde wirklich aufgehängt und das Fell, das Jin als Fussteppich bekam, hat sich bis zu unserem Tag erhalten und es liegt gerade unter diesem Tisch, an dem dieses Märchen erzählt und aufgeschrieben wurde!llen sie aufhängen lassen und dabei wollen wir selbst zugegen sein.»

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