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Nuka in der Mühle

Es war einmal eine Familie, Val und Kari, die hatten zwei Kinder, Jill und Zine und wohnten in einer uralten Mühle. Seit vielen Generationen war die Familie schon in der Mühle. Über die hohen Felsen sprang ein kleiner Bach schnurstracks auf das alte Mühlrad zu und in seine morschen Schaufeln hinein, so dass das alte Rad sich drehte und klapperte, von morgens bis abends. Wenn man sich aber im Walde oder Felde verirrt hatte, so brauchte man nur nach dem Geklapper hinzuhören und fand den Weg wieder.

 

 

Val war brav, besinnlich und fleissig, hatte die Haare immer voll Mehlstaub und den Kittel dazu. Von morgens früh bis in die späte Nacht hinein trug Val die Korn- und Mehlsäcke hin und her, mühte sich und sparte und doch konnte Val bei all dem Fleiss auf keinen grünen Zweig kommen. Das hing mit Kari, faul und bösartig, zusammen. Denn was Val mit Fleiss einbrachte, das fegte Kari im Zorn hinaus. Kari schimpfte und geizte den ganzen Tag in Haus, Mühle und Stall, war immer hinter Val und den Helfenden her, und niemand konnte es Kari recht machen: Val nicht, die Helfenden nicht, ja sogar die Kinder nicht. Denn war im Frühjahr die Schneeschmelze, schimpfte Kari, dass es des Wassers zu viel wäre; kam endlich der Sommer, so floss der Bach zu träge; war der Herbst da, so murrte Kari über den Nebel im Tal und im Winter haderte Kari mit Haus und Hof, weil es zu früh Nacht wurde oder weil Schneewehen den Weg zum Dorf hinauf versperrten. Die Leute wussten nicht viel Gutes von Kari zu erzählen, weil alle übel behandelt wurden. Das redete sich in der Gegend herum und schliesslich kam es so, dass niemand mehr sich in der Mühle verdingen wollte und Val auch noch alle Arbeit selbst verrichten musste, obwohl schon mählich in die Jahre gekommen und Val einen schwächlichen Körper hatte.

Eines schönen abends sassen die Leute von der Mühle um den Tisch herum. In der Mitte stand eine Schüssel Pellkartoffeln und ein Topf Dickmilch. Draussen war ein fürchterliches Wetter, die Nacht war stockfinster und es stürmte, dass die Fensterläden wackelten und das Haus in allen Fugen krachte. Das Essen wollte nicht schmecken, denn Val war müde und abgearbeitet. Kari redete zu, Val solle doch essen. «Ach», seufzte Val, «Kari, es muss jemand zum Helfen herbei, denn es ist zu schwere Arbeit in der Mühle, so für mich allein. Meine Schultern packen’s nicht mehr.» «Ja, hol nur jemand her», zankte Val gleich los. «Hol nur wieder so eine Tagedieberei und Faulenzerei!» «Ich pack’s aber doch nicht mehr», brummte nun auch Val, «es muss halt wer her, ob es dir passt oder nicht. Ich kann mich und unsere Mühle nicht ruinieren wegen dir.»

 

Wie sie so hin und her redeten, da klopfte es plötzlich an der Tür und herein trat ein kleiner, buckliger Mensch, mit grauem Kittel und einer grauen Kapuze über dem Kopf. Er trug ein Bündel mit ein paar Habseligkeiten auf dem Rücken und hatte einen knotigen Stock in der Hand. Der seltsame Besuch schaute sich mit eigentümlichem Blick in der Runde um, nahm seine Kapuze vom Kopf und grüsste: «Guten Abend beisammen.» «Danke euch auch», erwiderte Val, «was ist euer Begehr?» «Ich bin Nuka und habe gehört, dass ihr Hilfe braucht. Da kam ich her, mich bei euch zu verdingen.»

 

Kari schaute Nuka gleich mit scheelen Augen an und frug barsch: «Wo kommst du her, alte Nussknackerei?» «Von den hohen Bergen, von den grauen Leuten», gab Nuka zurück. Jill und Zine rückten zusammen, Kari lachte hellauf, aber Val gefiel Nuka nicht schlecht und sagte: «Wenn es so ist, da könnt ihr gerne bei uns bleiben! Ich will euch die Arbeit anweisen in der Mühle, denn es muss gleich heute Nacht noch gemahlen werden. Morgen in aller Frühe muss ich mit einem Wagen voll Mehl in die Stadt fahren und es ist noch nichts geschafft.» Darauf bat Val Nuka an den Tisch. Nuka stellte den Stock und das Bündel in eine Ecke und setzte sich unten an, wie es Untergebenen geziemt.

 

Nach dem Essen zündete Val Kienspan an und leuchtete Nuka in die Kammer und dann in die Mühle hinunter. Dieweil sprachen sie über dies und das, über die Mühle und allerhand Arbeitssachen und Val fragte auch, wieviel Lohn Nuka denn fordere. «Was ich fordere» sagte Nuka. «Val, wir wollen uns dahin einigen: Wenn ich eure Arbeit nicht recht schaffe und keine ehrliche Hilfe bin, will ich gar nichts und ihr und Kari könnt mich auf der Stelle von der Mühle fortjagen. Schaffe ich euch aber recht und ertappt ihr mich auf keiner Untat, so lasst mich bei euch bleiben für den Rest meiner alten Tage.» «Gemacht», sagte Val, «ich gebe dir meine Hand darauf» und beide schlugen kräftig ein. Darauf wies Val Nuka die Arbeit an, entzündete das Öllämpchen, das von der Decke hing und tappte im Dunkeln die Treppe hinauf in die Schlafkammer.

 

 

Bald surrte und schnurrte es in der Mühle, dass Val und Kari glaubten, es müsse ihnen Hören und Sehen vergehen! Das war ein Brausen und Sausen, ein Laufen und Rennen, ein Hin und Her, wie noch nie in der Mühle. Kari wusste nicht, was dazu zu sagen war, schüttelte missbilligend den Kopf, schlüpfte unter die Decke, zog sie sich über die Ohren und schlief ein. Andern morgens stand Val beizeiten auf, noch vor dem ersten Hahnenschrei, um nachzusehen, was Nuka geschafft hatte. Val war nicht wenig erstaunt, als der Wagen mit Mehl beladen schon vor der Tür stand. «So kann es weitergehen!» dachte Val erfreut. «Nuka schafft für zwei. Nun habe ich die rechte Hilfe.» Darauf ging Val in die Küche. Da war noch Glut unter der Asche des Herdes. Val schob die Asche beiseite, bliess das Feuer an und stellte die Morgensuppe auf einem Dreifuss darüber, ass die Suppe und machte sich dann auf den Weg in die Stadt.

Die seltsame kleine Hilfe arbeitete weiter, den ganzen lieben langen Tag. Am Abend war die Mühle sauber, kein Körnchen und kein Stäubchen gingen verloren und die schweren Steine schienen sich schneller zu drehen, als man es sonst gewohnt war. So ging es von jetzt an Tag für Tag und das Mühlrad hörte gar nicht mehr auf zu klappern. Nuka schüttete das Getreide auf, schrotete das Korn, trennte im Sieb die Griesse von den Schalen und mahlte sie zu einem Mehl, wie man feineres noch nie gesehen hatte. Dann schleppte Nuka die Säcke mit Mehl in eine Ecke, die Säcke mit Kleie in eine andere. Mit so viel Arbeit und Fleiss trat bald Wohlstand ein bei den Leuten und Val war glücklich und zufrieden. Kari aber kam Nuka gar sonderbar vor, fing an misstrauisch zu beobachten und zu überwachen, gönnte keinen Bissen und kaum das Fettauge auf der mageren Suppe.

 

 

Nuka focht das weiter nicht an. War die Arbeit fertig, schüttelte Nuka den Mehlstaub von sich und stieg in die Kammer. Umso mehr liebten Jill und Zine Nuka. Sie schlichen sich nach, wenn immer sie konnten, hockten sich an langen Winterabenden dazu und liessen sich Märchen erzählen oder gingen im Frühjahr mit Nuka an den Bach, Weiden zu schneiden. Dann schnitzte Nuka kleine Flöten und flocht schöne Körbchen, um sie mit Blumen zu füllen. Die Kinder wurden immer zutraulicher und Nuka  konnte sich das Leben nicht mehr ohne sie vorstellen, Jill und Zine nicht ohne Nuka.

 

 

Eines schönen Tages fuhren Val und Kari in die Stadt, einzukaufen. Die Kinder blieben den ganzen Tag über bei Nuka. Einen glücklicheren Tag konnten sie sich gar nicht wünschen. Am Nachmittag gingen sie in den Garten, spielten und pflückten Birnen, am Abend setzten sie sich auf die Bank vor das Haus und liessen sich von Tieren und Vögeln des Waldes erzählen. Und da Nuka alle Vogelstimmen wunderbar nachzuahmen verstand, lockten diese auch gleich die Vöglein vom nahen Wald und aus den Büschen herbei. Jill und Zine hatten ihre helle Freude daran! Sie staunten und lauschten. Auf einmal hörten sie Pferdegetrappel und sie wussten, dass das nur der Wagen von Val und Kari sein konnte. Schnell liefen sie dem Wagen entgegen und als er in den Hof kam, stand Nuka auf, begrüsste Val und Kari, spannte die Pferde aus, führte sie in den Stall und versorgte sie mit Hafer und Wasser und streichelte sie als schöne Gutnacht. Val und Kari gingen in das Haus und fanden alles in bester Ordnung vor. Bald lag die Mühle in festem, tiefstem Schlaf.

 

Anderntags standen Val und Nuka wieder früh auf, um an die Arbeit zu gehen. Auf einmal hörten sie Kari im Haus herumtoben und schreien. Val kam gelaufen und fragte, was denn los sei? Da kreischte Kari: «Wir sind bestohlen, wir sind bestohlen! All mein Geld ist weg!» Nuka wurde gerufen und war zu Tode erschrocken, als Val berichtete, was vorgefallen war. «Das ist unmöglich», sagte Nuka, «denn es ging niemand ins Haus herein oder heraus! Ihr müsst das Geld verlegt haben, Kari!» Doch Kari jagte wie eine wilde Katze durch das Haus und schrie: «Niemand anders als Nuka hat mir mein Geld gestohlen! Nuka muss sofort aus dem Haus!» Nuka versicherte die Unschuld, Val sprach Kari gut zu, Kari aber schrie und tobte weiter: «Fort, sage ich, auf der Stelle aus meinem Haus hinaus! Ich will keine Diebereien in meinem Hause sehen.» Da war Nuka traurig und auch Val wurde das Herz ganz schwer. Jill und Zine aber weinten vor Kummer, weil sie Nuka verlieren sollten. Nuka stieg zur Kammer hinauf, schnürte das Bündel und ging von dannen, ohne noch ein Wort zu sagen, ja ohne sich noch einmal umzusehen.

Von der Stunde an war das Glück aus dem Hause gewichen. Ein Unglück folgte dem andern. Die Leute führten bald Klage über das schlechtere Mehl und brachten ihr Getreide auf eine andere Mühle. Die Ratten und Mäuse frassen das Getreide auf. Der grosse Trichter wurde schadhaft; dann drehten sich die Steine plötzlich nicht mehr, zuletzt blieb das grosse Mühlrad stille stehen. Von Tag zu Tag ging es rückwärts mit der Mühle und die Familie wurde immer ärmer. «Ach», jammerte Val oftmals, «hätten wir doch Nuka wieder! So kann es nicht mehr weitergehen!» Und als eines Tages gar noch das Wasser die Mühle überschwemmte, das Getreide wegführte und das Mehl in den Säcken verdarb, da wollte Val bald verzweifeln. Val machte Kari bittere Vorwürfe und sagte: «Das ist die Strafe für deine Ungerechtigkeit gegen Nuka.»

 

 

Mittlerweile war es Winter geworden und das Tal war zugeschneit. Da wollten Jill und Zine ihre alten Spielsachen vom Speicher holen, damit Val sie ihnen zurechtrichtete. Als sie bei ihrem Suchen einen Kistendeckel hoben, sahen sie darunter einen Beutel liegen. Den machten sie auf. Und was war darin? Lauter blanke, glänzende Goldstückchen. Schnell riefen sie Val und Kari herbei und zeigten ihnen das Geld. Die wussten kaum was sagen vor Staunen. Kari schlug die Hände überm Kopf zusammen! Wie war das nur gekommen? Im Stillen schämte sich Kari vor den Kindern und Val, denn sie überdachte, wie sie Nuka Unrecht getan und alles Elend über das Haus gebracht hatte. Val aber wollte das Unrecht wieder gutmachen, ging hinaus in den Wald, um Nuka zu suchen und wieder mit heimzubringen. Doch all das Suchen und Rufen war vergebens. Nuka blieb für immer verschwunden.

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