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Das Märchen vom goldenen Baum

Ife regierte über ein grosses Reich und hatte drei Kinder, Corin, Direm und Beute, die waren einander so ähnlich wie ein Ei dem anderen gleicht. Eines Tages liess Ife sie zu sich rufen und sagte ihnen: «Geht in die Welt hinaus und seht euch um in anderen Reichen, damit ihr einmal gut regieren könnt.»

 

 

Corin, Direm und Beute nahmen also Abschied und zogen in Eintracht zusammen fort. Als sie eine Zeit gewandert waren, kamen sie an einen Scheideweg, an dem stand eine grosse Eiche. «Hier wollen wir uns trennen für ein Jahr», sagte Corin, «und damit wir wissen, wie es allen von uns ergeht, wollen wir unsere Messer in den Baum stossen. Ist aber eines von ihnen rostig, wenn wir zurückkommen, so soll es anzeigen, dass jemand von uns nicht mehr am Leben ist.»

Sie versprachen sich Treue bis in den Tod, stiessen die Messer in den Baum und schieden voneinander. Corin zog nach Osten, Direm nach Westen und Beute ging gegen Mittag zu.

 

Corin kam bald in einen grossen Wald und nicht lange, tauchte ein Löwe auf. Der fragte Beute: «Wo gehst du hin?» Corin antwortete: «Ich will in die Welt ziehen auf ein Jahr, um mich umzusehen.» «So nimm mich mit», sagte der Löwe und weil es Corin recht war, zogen sie miteinander fort. Als sie ein Stück gewandert waren, begegnete ihnen ein Wolf. «Wo wollt ihr hin?» rief er den beiden zu. Sie antworteten ihm: «Wir wollen uns die Welt besehen!» Da bat der Wolf, dass sie ihn auch mitnehmen möchten. So zogen sie zu dreien weiter. Es dauerte aber nicht lange, da kam noch ein Bär durch den Wald daher. Der brummte und fragte sie: «Wohin die Reise?» «Wir wollen uns die Welt besehen!» Antworteten die Wandernden. Da ging auch er mit ihnen.

 

So wanderte denn Corin mit den Tieren weiter und als der Wald ein Ende hatte, kamen sie zu einer prächtigen Stadt. Häuser und Strassen aber waren ganz mit schwarzem Tuch ausgeschlagen und das Volk war sehr traurig. Da fragte Corin die Leute: «Warum ist eure Stadt so mit schwarzem Flor ausgehängt?» «Ach, morgen», sagten sie, «muss Rui einem siebenköpfigen Drachen zum Frasse gegeben werden. Darum sind wir alle so traurig.» «Wie geht das zu?» fragte Corin. Und sie erzählten: «Draussen vor der Stadt ist ein hoher Berg; darauf wohnt ein Drache, der muss alle Jahre einen rothaarigen Menschen zu Speise haben, sonst verwüstet er das ganze Land. Nun sind aber schon alle rothaarigen Menschen hingegeben und niemand mehr übrig als Rui und darum sind wir so traurig. Morgen aber soll es geschehen.

Corin sagte dazu weiter nichts, doch am anderen Morgen, zog Corin mit den Tieren auf den Berg. Rui und das Stadtvolk begleiteten sie und weinten und klagten. Als aber Rui dem Drachen entgegengehen sollte, da sprang auf einmal Corin auf das Untier zu und rief: «Löwe, Bär und Wolf!  Packt an!» Sogleich stürzten die drei Tiere auf den Drachen und bissen sich fest in seine Flanken, dass er sich bäumte vor Schmerz. Corin zog aber das Schwert und schlug dem Untier alle sieben Köpfe ab.

 

Da wandelte sich die Trauer in Freude, denn nun war Rui befreit und das ganze Land von dem Drachen erlöst. Corin und Rui fanden zusammen und ein grosses Fest wurde sogleich gerüstet und alles war voller Glück und Jubel. Als Corin am Abend Rui in das Schlafgemach begleitete, blickte Corin aus dem Fenster und sah auf einem Berg einen Baum stehen, der war voller goldener Blätter, die glitzerten und glänzten heller als die Sonne. Unter dem Baume aber sprang eine goldene Quelle hervor. Da fragte Corin Rui: «Was ist denn das für ein herrlicher Baum dort auf dem Berge?» 

«Das will ich dir wohl sagen», antwortete Rui: «Viele junge Menschen sind schon ausgezogen und wollten die goldenen Blätter brechen und aus dem goldenen Quell schöpfen, aber niemand ist wieder gekommen, denn sie sind alle, von einem bösen Zauber, in Steine verwandelt worden.» Da wollte Corin sich sogleich aufmachen und auf den Berg steigen, aber Rui sagte: «Geh nicht jetzt in der Nacht, sondern warte, bis es Tag geworden ist.» Doch als Rui eingeschlafen war, machte sich Corin heimlich auf den Weg, denn es gelüstete allzu sehr, den wundersamen Baum anzusehen. Löwe, Bär und Wolf aber, begleiteten Corin. Wie sie nun gegen den Berg kamen, sahen sie ein kleines, uraltes Wesen vor dem Häuschen sitzen. «Wohin wollt ihr, Corin?» fragte dieses. Und Corin antwortete: «Ich will auf den Berg und den Baum mit den goldenen Blättern holen.» «Ach», sprach das Wesen, «da weiss ich euch Rat. Aber vor euren wilden Tieren fürchte ich mich: darf ich sie nicht an einen Zwirnsfaden festbinden?» Corin dachte nichts Böses und liess es geschehen. Kaum waren die Tiere festgebunden, so rührte das Wesen mit der Rute an das Garn und sogleich wurde dieses zu einer schweren Kette. Dann schlug die Rute über Corin und die Tiere, da fielen sie zu Boden und waren sogleich in Steine verwandelt.

 

Als nun das Jahr um war, kamen Direm und Beute zur Eiche am Kreuzweg. Und weil Corin ausblieb und am Messer der Rost frass, wussten sie, dass Corin nicht mehr am Leben war. «Ich will erfahren, wo Corin ums Leben gekommen ist.» sagte Direm, schlug denselben Weg ein, den Corin gegangen war und kam bald auch in den dichten Wald. Auch Direm begegneten ein Löwe, ein Wolf und ein Bär, sie zogen zusammen weiter und kamen in die Stadt: In der war wiederum grosse Trauer, weil Corin verschwunden war und niemand wusste wohin.

 

Als nun Direm mit seinen Tieren kam und aufs Haar Corin glich, da war grosser Jubel in der Stadt, denn alle glaubten, Corin sei zurückgekehrt. Direm ging geradewegs in das Schloss und dachte bei sich: «Dort werde ich erfahren wo Corin geblieben ist.»

 

Rui nahm Direm auf mit herzlicher Freude, weil Rui glaubte, Direm wäre Corin. Als sie aber abends schlafen gingen, legte Direm das Schwert zwischen sich und Rui. Da wunderte sich Rui sehr, dass Corin dies tat. Und so im Bette liegend, sah auch Direm durchs Fenster den goldenen Baum auf dem Berge glitzern und fragte Rui, was dies für ein wundersamer Baum sei. «Das habe ich dir ja letztes Jahr schon gesagt», antwortete Rui. Nun wusste Direm, wo Corin zu suchen war und als Rui eingeschlafen war, stand Direm auf, nahm Löwe, Bär und Wolf und ging zum Berge. Aber es ging Direm nicht anders als Corin: Auch Direms Tiere band das Wesen an den Zwirnfaden und verwandelte dann alle zu Stein.

 

Als das zweite Jahr vergangen war, kam Beute ganz allein zur Eiche am Kreuzweg. Da dass zweite Messer auch rostig geworden war, machte Beute sich traurig auf den Weg, den Corin und Direm gegangen waren. «Vielleicht werde ich doch erfahren, was ihnen zugestossen ist», dachte sich Beute. Es ging Beute nicht anders als den anderen. Löwe, Bär und Wolf stiessen zu Beute und zogen miteinander durch den Wald und kamen zur Stadt. Da war wieder grosser Jubel und Freude. Rui lief ihnen entgegen und glaubte nichts anderes, als dass Corin wiedergekommen sei. So sehr glich auch Beute Corin und Direm. Und Rui war glücklich und froh über alle Massen.

Am Abend aber in der Schlafkammer, sah auch Beute den goldenen Baum und den Brunnen durch das Fenster glitzern und fragte wie Corin und Direm Rui: «Das habe ich dir doch schon zweimal erzählt», antwortete Rui. «Nun weiss ich, wo ich Corin und Direm suchen muss», dachte sich Beute und kaum war Rui eingeschlafen, machte sich Beute mit den Tieren zum Berge auf.

 

Als sie vor das Häuschen des Wesens gekommen waren, wollte dieses auch die Tiere an einen Garnfaden festbinden. Aber Beute liess es nicht zu und sagte: «Wenn du mir nicht sagst, wo Corin und Direm sind, so schlage ich dir den Kopf mit meinem Schwerte ab.» Da erschrak das Wesen und zeigte mit dem Rütchen auf die Steine und sprach: «Hier sind sie, zu Stein verwandelt,» Nun verlangte Beute, dass Corin und Direm wieder lebendig gemacht werden. Das Wesen ging in das Häuschen und holte drei Fläschchen heraus; darin war das Wasser der Jugend, das Wasser der Schönheit und das Wasser des Lebens. Das Wesen goss aus jedem Fläschchen ein paar Tropfen auf die Steine und sogleich verwandelten sich alle in ihre frühere Gestalt. Corin und Direm sprangen auf, rieben sich die Augen aus und sagten gähnend: «Da haben wir aber einmal gut geschlafen.»

Jetzt erzählte Beute was geschehen war. Da wurden sie zornig, schlugen das Wesen tot und nahmen die Fläschchen mit sich. Dann gingen sie miteinander auf den Berg und holten das Bäumchen mit den goldenen Blättern.

 

Als sie aber vom Berg herabstiegen, erzählten die beiden Corin ihre Geschichte, wie sie einander gesucht hatten. Und als Corin hörte, dass Rui sie jedes Mal für sich gehalten und des Abends in die Schlafkammer geführt habe, da wurde Corin so eifersüchtig und zornig, zog sein Schwert und schlug Direm und Beute den Kopf ab. Doch als sie tot da lagen und ihr rotes Blut floss, ward es Corin gar leid im Herzen, Direm und Beute erschlagen zu haben, die ausgezogen waren Corin zu erlösen. Erinnernd, dass sie das Wasser des Lebens gewonnen hatten, goss Corin ein paar Tropfen auf sie und sogleich waren Direm und Beute wieder lebendig. Und sie begossen mit dem Wasser des Lebens auch die anderen Steine. Da wurden sie zu Menschen, die waren alle ausgezogen, um das Bäumchen mit den goldenen Blättern zu holen, aber in Steine verwandelt worden. Und auch die Löwen, Bären und Wölfe wurden wieder lebendig.

 

Als dann Corin, Direm und Beute mit dem goldenen Bäumchen, gefolgt von all den Tieren und Menschen, wieder in die Stadt kamen, da wusste Rui nicht, wer von den dreien Corin war. Aber Corin gab sich zu erkennen und sie herzten und küssten sich vor Freude. Nun war grosser Jubel in der Stadt, denn alle Menschen waren erlöst und die Freude wollte kein Ende nehmen.

 

Direm und Beute aber zogen später wieder in Ifes Reich, so dass alle glücklich und zufrieden waren.

 

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