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Samon und die Schafe

Es lebte einst eine Familie, mehr schlecht als Recht, vom Schafe hüten. Ingi hatte drei Kinder, Yaren, das Älteste, Samon, das mittlere und Liu das jüngste. Eines Tages sprach Yaren: «Ingi, ich will fortgehen und mir einen Platz suchen zum Schafe hüten, hier reicht das Brot doch nicht für uns alle.» «Ja», antwortete Ingi, «ich bin’s zufrieden» und gab Yaren etwas Geld, eine Hüteschaufel und ein Stück Brot mit auf den Weg. Nun nahm Yaren Abschied von der Familie und ging fort.

 

Nachdem Yaren eine Weile auf der Strasse dahingewandert war, lag ein Wirtshaus am Weg. Da liess sich Yaren ein Glas voll Wasser geben. Die Wirtsleute fragten Yaren, wohin denn die Reise ginge. «Ich hüte Schafe», antwortete Yaren «und will mir einen Platz suchen, wo ich mein Brot verdienen kann. Wir sind zuhause drei Geschwister und auch Ingi hütet die Schafe, aber es gibt nicht genug Arbeit für uns alle.» «Da gehst du am beste jetzt durch den Wald», sprachen die Wirtsleute, «bis du am Ende an einen Hof kommst. Dort wird jemand gesucht, der Schafe hüten kann.»

 

Yaren trank sein Glas leer und machte sich gleich auf den Weg. Zwei Tage lief Yaren im Walde herum, ohne dass ein Ende in Sicht war. Endlich war eine kleine grüne Wiese zu erblicken, mitten im dichten Walde und weil Yaren so müde und hungrig war, dachte sich der müde Wandernde: «Da will ich mich einmal ein wenig ausruhen und essen.» Auf einmal stand ein eisgraues Wese vor ihm und fragte: «Nun, ich heisse Eske, schmeckts?» «Ja», antwortete Yaren und ass weiter. «Willst du mir vielleicht etwas abgeben von deiner Mahlzeit, ich habe rechten Hunger», bat das Wesen. Aber Yaren antwortete: «Nein, von mir kannst du nichts haben, ich laufe schon zwei Tage im Walde herum und finde nicht heraus. Ich muss behalten was ich habe.» «Du sollst Glück haben damit», sagte Eske nur und war verschwunden.

Fertig gerastet und gegessen, stand Yaren auf und wollte weiter den Weg aus dem Walde suchen. Aber plötzlich erschien der Hof. Da war Yaren froh und ging sogleich hin und frug, ob man niemand zum Schafe hüten suche. Ja, sagte man, man suche jemand der Schafe hüten kann und wenn Yaren wolle, hätte man genug Arbeit. Am anderen Morgen warteten fünfhundert Schafe auf Yaren. Die hütete Yaren nun getreulich acht Tage lang auf der Weide. Als für die Schafe keine Weide mehr zu finden war, wollte Yaren seine Herde dem Walde zu treiben. Doch mit einem Mal überkam Yaren eine Müdigkeit, setzte sich hin und fiel in einen tiefen Schlaf. Als Yaren wieder aufwachte, waren alle Schafe verschwunden. Da fing Yaren an zu weinen und zu rufen und suchte den ganzen Tag, aber kein Schaf war zu finden. Endlich lief Yaren zum Hof und erzählte dort, was geschehen war. Man ging mit Yaren und suchte die ganze Nacht, aber kein einziges Schaf war mehr zu sehen. Darauf wurde Yaren ins Gefängnis geworfen.

 

Eines Tages sagte das jüngste Kind, Liu, zu Ingi: «Ingi, Yaren geht es sicher gut in der Fremde, darum will auch ich fortgehen und mir einen guten Platz zum Schafe hüten suchen.» «Geh nur», sagte Ingi traurig, «Yaren ist fortgezogen, jetzt willst auch du fortgehen und keiner von euch wird mir helfen.» Ingi gab Liu Zehrgeld, eine Hüteschaufel, und ein Stück Brot mit auf den Weg. Liu nahm Abschied und wanderte fort. Aber es ging Liu nicht anders, wie Yaren.

Da kam auch das mittlere Kind, Samon und sprach zu Ingi: «Ingi, meinen zwei Geschwister geht es sicher gut in der Fremde. Nun will auch ich fortgehen und mir einen Platz zum Schafe hüten suchen.» «Nein», sagte Ingi, «dich lasse ich nicht fort, du musst bei mir bleiben, denn, wenn auch du in die Fremde gehst, bin ich ganz allein.» Samon aber drängte und bettelte so lange, bis Ingi sein letztes Kind endlich ziehen liess. «So geh denn», sagte Ingi und gab Samon genau wie Yaren und Liu Zehrgeld, die Hüteschaufel und das Stück Brot. Dann nahmen sie voneinander Abschied und Samon ging frohgemut auf die Wanderschaft.

 

Am Wirtshaus angekommen, dachte sich Samon: «Was habe ich davon, wenn ich einen Zehrpfennig habe», ging hinein und liess sich ein Glas Wasser dafür geben.» Die Wirtsleute fragten wieder, wohin die Reise ginge. «Ich hüte Schafe, meine beiden Geschwister sind auch schon fortgezogen, um ihr Glück zu suchen, weil wir so arm sind. Jetzt will ich es auch versuchen und mich zum Schafe hüten verdingen.» «Da hinter dem Wald steht wohl ein Hof», sagten die Wirtsleute, «aber ich glaube nicht, dass man da nochmal Fremde einstellt, denn dort hatten sie zwei Fremde nacheinander und wurden um all ihre Schafe gebracht.» «Ich werde sie nicht darum bringen», antwortete Samon vergnügt, «ich hüte die Schafe gut und man wird mich sicher behalten.» Als das Glas Wasser ausgetrunken war, machte sich Samon auf den Weg in den Wald. Auch Samon musste zwei Tage im Walde herumirren. Müde und hungrig geworden, wollte Samon sich ausruhen und stärken. So dasitzend und essend, kam auf einmal Eske, das eisgraue Wesen, daher: «Schmeckts?» «Ja», antwortete Samon, komm setz dich zu mir und halte mit.» Eske setzte sich dazu und ass. Als sie gegessen und getrunken hatten, zog Eske aus der Tasche eine kleine Pfeife hervor; gab sie Samon und sagte: «Wenn es dir einmal schlecht geht, so denk bloss an mich und blase in die Pfeife.» Samon nahm die Pfeife, dankte und steckte sie zu sich. Als Samon aber aufsah, war das Wesen verschwunden.

 

Sich einen Weg durch den Wald suchend, sah Eske, wie zuvor die Geschwister, plötzlich den Hof vor sich liegen. Samon ging darauf zu und fragte, ob man dort jemand brauchen könne, zum Schafe hüten. «Wir wollen keine Fremden mehr, denn zweimal haben uns Fremde um all unsere Schafe gebracht», sagten die Hofleute. «Ich bringe euch schon nicht darum», antwortete Samon wohlgemut, «nehmt mich nur, ich hüte tüchtig die Schafe.» Man nahm nun an und am anderen Morgen warteten fünfhundert Schafe auf Samon, um auf die Weide zu gehen. Samon hütete acht Tage lang getreulich. Als die Schafe keine Weide mehr fanden, dachte sich Samon: «ich will sie weiter weg treiben, bis ich neue Plätze finde.» Auf einmal kam eine bleierne Müdigkeit; Samon musste sich auf die Erde setzen und schlief sogleich ein. Endlich wieder erwacht, waren alle Schafe verschwunden. Wie Samon nun zu rufen und weinen begann, erschien wie aus dem Nichts Eske und sprach: «Warum bist du denn so traurig?» «Weil ich all meine Schafe verloren habe und sie nicht mehr finden kann», antwortete Samon. «Ich habe dir doch eine Pfeife gegeben», sagte Eske, «und dir gesagt, du sollst pfeifen, wenn es dir schlecht geht.» Dann war Eske verschwunden. Nun holte Samon die Pfeife aus der Tasche und blies hinein. Auf einmal erschienenen tausend Schafe aus dem Walde. Da war Samon glücklich und trieb die Herde nach Hause. Samon erzählte dem Hof, dass die fünfhundert Schafe, wohl von der Herde waren, die verloren ging. Da waren die Hofleute froh und hatten Samon gern. Am anderen Morgen zog Samon mit den tausend Schafen aus und hütete sie acht Tage lang. Als aber für sie keine Weide mehr war, trieb Samon sie weiter dem Walde zu. Wieder wurde Samon vom Schlafe überfallen und wieder waren, aufgewacht, alle Schafe verschwunden. Da wurde das Herz schwer und Samo dachte bei sich: «Jetzt habe ich tausend Schafe gehabt und nun sind alle verschwunden. Aber schon erschien das kleine eisgraue Wesen wieder und sprach: «Weine doch nicht, ich komme ja wieder, dir zu helfen. Denk doch an mich und blas in die Pfeife.» Wie Samon aufsah, war Eske schon wieder verschwunden, aber aus dem Walde erschienen fünfzehnhundert Schafe. Da war Samon glücklich und froh, schmückte sie mit Bändern und Blättern, band ihnen Sträusse auf den Kopf und trieb sie zum Hof.

 

 

Mit den vielen Schafen vor dem Hof, begann Samon vor lauter Freude, auf der Flöte zu blasen. Wie die Leute vom Hofe aber das Flöten hörten, mussten sie mit einem Male alle anfangen zu tanzen, die Schafe und das Vieh im Stall und der Kochtopf auf dem Herde dazu. 

 

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